Arbeitersiedlung der Jutespinnerei

Ansicht Paulusstraße.

Die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften ist kein Phänomen der 1960er Jahre. Im Industriezeitalter waren Arbeitskräfte in spezialisierten Bereichen zu Zeiten eines wirtschaftlichen Aufschwungs schon immer sehr gefragt. Die Jutefabrik in Beuel erlebte nach Niedergang und Konkurs Anfang der 1880er Jahre gegen Ende des Jahrhunderts wie die gesamte Wirtschaft einen enormen Aufschwung, der mit kurzen Unterbrechungen bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges anhielt.

Bedingt durch die Ausweitung der Produktion wurden in den Jahren 1896-1899 die Betriebsanlagen ausgebaut und der Gebäudebestand nahezu verdoppelt. Um die anfallenden Aufgabenbewältigen zu können, wurden zusätzliche Arbeitskräfte in Österreich und in den Balkanländern angeworben. Zur Unterbringung der neuen Arbeiterinnen und Arbeiter mietete das Unternehmen zunächst in der Josef-Thiebes-Straße fünf Gebäude an. 1898 entschloss sich die Werksleitung zu einem größeren Neubauprogramm.

Ansicht Josef-Thiebes-Straße.

In der neu angelegten Paulusstraße 1-15 wurden in einem ersten Bauabschnitt 15 Häuser mit insgesamt 60 Wohnungen gebaut. Ein Jahr später folgten in der Josef-Thiebes-Straße 5-15 weitere 12 Häuser mit 48 Wohneinheiten und in einer dritten Ausbaustufe noch drei weitere Arbeiterwohnhäuser in dem Eckbereich Josef-Thiebes-Str. 17, 19 / Paulstraße 10.

Die Häuser entsprachen den damaligen Minimalanforderungen an eine Arbeiterwohnung. Über einen Flur in der Hausmitte erreichte man das rückwärtig gelegene Treppenhaus, das das Ober- und das Dachgeschoss erschloss. Links und rechts an die Flure angeschlossen waren jeweils zwei Wohnungen, die aus einer Küche und einem Schlafzimmer bestanden. Die gemeinsamen Toiletten befanden sich im Hof. Erst 1937 wurde an der Rückseite der Häuser zweigeschossige Erker angefügt, die für jede Wohnung eine Toilette enthielten.

Für die ledigen Arbeiter entstand 1899 in der Paulusstraße 17 ein großes Wohnheim mit Kantine (heute Hausnummer 15a und 17). Die streng symmetrisch geteilte Fassade lässt heute noch die innere Gliederung des Gebäudes in einen Frauen- und einen Männertrakt erahnen.

Als weiteres Sozialgebäude wurde in der Paulusstraße 19 in den Jahren 1913/14 ein Kindergarten errichtet.

Die Zahl der werkseigenen Wohnungen erhöhte sich bis 1914 auf insgesamt 264. Hier wohnten bis zu 582 Beschäftigte der Jutespinnerei – mehr als die Hälfte der gesamten Belegschaft.

Trotz teilweiser Privatisierung gehört die Siedlung zu den besterhaltenen und größten Werkssiedlungen im südlichen Rheinland.

Ehemaliges Ledigenwohnheim Paulusstraße 17; Mittelrisalit mit den Eingängen für Frauen und Männer.

Text und Fotos: Franz Josef Talbot

Adresse: Paulusstraße 1-15 und Josef-Thiebes-Straße 5-15

Literatur:

Heimat- und Geschichtsverein Beuel am Rhein (Hg.): Denkmalpfade im Stadtbezirk Beuel – Die Beueler Jutespinnerei.  Bonn 2004

Bundesstadt Bonn (Hg.): Denkmalpflegeplan Bonn. 2003

Vogt, Helmut: Die Beueler Jutespinnerei und ihre Arbeiter, 1868-1961. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 46.  Bonn