Bauten der Arbeiterwohnungs-Genossenschaft, Paul- und Graurheindorfer Strasse

In der Graurheindorfer Straße und in der Paulstraße errichtete ab 1899 eine neu gegründete Arbeiterwohnungs-Genossenschaft zwei ungewöhnliche Ensembles mit Mietswohnungen, die architektonisch und städtebaulich interessant und zugleich gut erhalten sind.

Obwohl die Gemeinnützige Aktiengesellschaft in den 1860er und 1870er einige Wohnhäuser in der Nordstadt errichtet hatte, blieb das Problem der Wohnungsnot und der katastrophalen Wohnbedingungen für die Ärmsten am Nordrand der Stadt und in den ehemaligen Stadtgräben bis in die 1890er Jahre erhalten. Im Florentiusgraben gab es zum Beispiel ein Haus, das acht Meter unter Straßenniveau lag und demzufolge stetig nass und moderig war.

Graurheindorfer Straße, Straßenfront.

Planmäßigen Arbeiterwohnungsbau hatte es bis dahin in Bonn so gut wie nicht gegeben. Die Neuerrichtung von großzügigen und luxuriösen Villen dominierte das Baugeschehen. Das zog zugleich ein „Heer von Stiefelputzern, Tagelöhnern, Knechten, Mägden, kleineren Handwerkern“ an, wie ein Verwaltungsbericht feststellte. Viele Arbeiter und kleine Leute wohnten außerhalb der Stadt oder mussten in der Stadt überhöhte Mieten zahlen.

Hauseingang an der Graurheindorfer Straße.

Angesichts dieser prekären Situation drängte die preußische Provinzialregierung die Stadt, etwas für den Wohnungsbau für Ärmere zu tun. Nach einigem Zaudern und Abwiegeln seitens der Kommune wurde dann doch 1898 eine „Arbeiterwohnungs-Genossenschaft“ ins Leben gerufen. Sie konnte zwischen 1899 und 1908 insgesamt 30 Häuser errichten, allesamt im Nordteil der Stadt gelegen. Die Wohnungen bestanden in der Regel aus zwei oder vier Zimmern und einer Küche mit einem Spülstein und fließendem Wasser. Die Toilette war auf dem rückwärtigen Treppenabsatz. Die Wohnfläche betrug bei den vergleichsweise großen Vierzimmerwohnungen 63 Quadratmeter, bei den Zweizimmerwohnungen ungefähr die Hälfte. Ein Haus wurde von durchschnittlich acht Wohnparteien genutzt.

Graurheindorfer Straße, Haus im Hof.

Die ersten Häuser entstanden an der Graurheindorfer Straße. Der Architekt H. Schmitt, der damals in der Bonner Süd- und Nordstadt viele Wohnhäuser und Villen plante, ließ sich dort vom Grundriss her etwas Besonderes einfallen: Fünf freistehende Wohnhäuser, drei mit der Front zur Straße, zwei dahinter um 90 Grad versetzt.

Anordnung der Häuser in der Graurheindorfer Straße, aus: Roth 1986, S. 2.

Die Häuser boten jeweils einigen Familien Wohnraum, wirken aber von der Proportion und Anmutung her völlig anders als herkömmliche Mietshäuser, stattdessen gleichen sie eher einfachen Villen. Dazu trägt auch bei, dass sie ausgesprochen große Fenster haben und auf allen Seiten baulich gestaltet sind, was die Freistellung betont und den Gegensatz von ansehnlicher Frontfassade und schnödem Hinterhof aufhebt.

Graurheindorfer Straße, Hofansicht.

Zwischen den einzeln stehenden Häusern blieb ein kleiner Freiraum, der als Garten gestaltet wurde und zugleich gut dimensionierte Hofräume bildet. Alle Wohnungen und Fenster haben daher viel Luft und Licht und etliche einen Ausblick ins Grüne. Auf der Rückseite gibt es sogar Balkone, die den Küchenraum nach außen öffnen – insgesamt eine sehr intelligente Lösung für die Aufgabe, auf wenig Raum viele Menschen gut und angenehm unterzubringen.

Paulstraße, Innenhof.

An der Paulstraße konzipierte Schmitt vier ähnlich anmutende Häuser, die auf noch weniger Platz immer noch weitgehend freigestellt sind. Die Schaufassade zur Paulstraße ist besonders aufwändig verziert.

Paulstraße, Schaufassade und Hofdurchgang.

Durch zwei jeweils überbaute Durchgänge gelangt man in zwei separate Innenhöfe. Jedes Haus hat einen eigenen, zentralen Eingang und ein eigenes Treppenhaus. Die kleinen Höfe sind so proportioniert, dass auch hier wohnlich wirkende Freiräume entstanden, die heute noch gern genutzt werden.

Alle Wohnungen in diesen Häusern der ersten Generation hatten eine vergleichbare Ausstattung und vergleichbare Preise – womit dem Gleichheitsprinzip der Genossenschaft entsprochen wurde. Beide Ensembles sind bis heute in gemeinnützigem Besitz. Daher hat sich durch alle Renovierungen hindurch der einheitliche und geschlossene Zustand erhalten: Zwei sehenswerte Ensembles, die beispielhaft zeigen, wie urbanes Bauen gelingen kann.

Text und Fotos: Detlef Stender

Adresse: Graurheindorfer Straße 87–95, Paulstraße 24–27a

Literatur:

Buschmann, Walter: Einleitung. In: Pufke, Andrea (Hg.): Siedlungen in Nordrhein-Westfalen. Rheinschiene. Band 1. Petersberg 2020, S. 11-58

Dreßel, Hans-Christian: „Ueber Arbeiterwohnungen in Bonn“. In: Bonner Geschichtswerkstatt (Hrsg.): „… tranken dünnen Kaffee und Platz dazu“. Leben in der Bonner Nordstadt 1850-1950

Roth, Erik: Bauten der Bonner „Arbeiterwohnungs-Genossenschaft“. In: Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Amt für Denkmalpflege (Hg.): Denkmalpflege im Rheinland 3/1986, S. 1-6