Hauptbahnhof Bonn

Das repräsentative Empfangsgebäude des Bonner Hauptbahnhofes von 1884 ersetzte einen kleinen Bau von 1844, der mit der ersten Bahnverbindung nach Bonn entstand. Der zweite Bahnhofsgebäude ist bis heute äußerlich gut erhalten – ebenso die historische Bahnsteinüberdachung.

Die Geschichte des Bahnhofs begann mit einem veritablen Streit. Zu Beginn der 1840er Jahre wurde eine Eisenbahnlinie von Köln nach Bonn geplant. Die Bonner wünschten, dass die neue Bahnverbindung im Norden der Stadt am Rhein enden sollte, weil sich dort damals die Schiffsanleger befanden. Man erhoffte sich, dass Rheinreisende hier auf Schiffe umsteigen würden, Waren dort umgeschlagen würden und der ärmliche Bonner Norden davon profitieren könnte.

Eine andere Gruppe, Kölner Aktionäre der 1840 gegründeten „Bonn-Cölner-Eisenbahn-Gesellschaft“, präferierte hingegen einen Standort am Südwestrand Bonns, weil es von dort aus sehr viel einfacher sein würde, die Strecke Richtung Süden an Bonn vorbei zu verlängern. Die Aktionäre dachten als Ziel nicht nur an Frankfurt, Stuttgart oder Basel, sondern auch an Godesberg und Rolandseck am romantischen Rhein, wo sie bereits Sommerhäuser besaßen oder noch zu bauen gedachten. Die Bonner fürchteten, dass bei diesem Standort die Fahrgäste Bonn links liegen lassen würden und hielten einen solchen Standort für eine „Zerstörungseinrichtung“ der wirtschaftlichen Interessen Bonns. Wer bezahlt, der bestimmt: Die Kölner konnten sich durchsetzen. So endete 1844 die neue Eisenbahnstrecke von Köln nach Bonn zunächst im Westen der Stadt. Der Bahnhof wurde an der Poppelsdorfer Allee angelegt: Es handelte sich um ein relativ kleines, klassizistisches Gebäude mit fünf Fensterachsen.

Das erste, kleine Empfangsgebäude aus dem Jahr 1844. Aquarell Mathias Frickel, 1890. Quelle: Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn.

Die neue Strecke wurde gut angenommen, insbesondere im Personen- und Ausflugsverkehr. Aber auch Kleinbauern aus dem Vorgebirge brachten ihr Gemüse auf diesem Weg in die Stadt. Die Strecke war zunächst also eine Art Köln-Bonner Vorortbahn, wurde aber 1856 bis Rolandseck und 1859 bis Koblenz verlängert. 1870 kam ein Trajekt-Gleis hinzu, auf dem Waren vom rechtsrheinischen Ufer, vom Bahnhof Oberkassel mittels Verladung ganzer Waggons auf eine Fähre über den Rhein transportiert wurden. 1880 folgte eine neue Verbindung nach Euskirchen, über die man schnell nach Düren und Aachen und weiter in den nach Westen reisen.

Das bescheidene „Einnehmergebäude“ von 1844 erwies sich schnell als unangemessen klein. Die Bonner schämten sich regelrecht für diese Zustände und widersetzten sich Anfang der 1880er Jahre, als die bestehenden Gebäude in Fachwerkbauweise einfach erweitert werden sollten. Mit Erfolg: Die Bahn beauftragte Carl Schellen und Traugott Unger mit der Planung eines großzügigen Neubaus, der 1884 abgeschlossen wurde.

Relativ gut erhalten: die breite Frontfassade zur Stadt.

Beeindruckend ist der schlossartige, repräsentative Charakter des Empfangsgebäudes: mit einer imposanten Frontfassade auf einem leicht erhöhten Sockel, einer symmetrischen Anordnung der Gebäudeteile und einem dominanten Mitteltrakt mit Freitreppe zum Eingangsportal – historisierende Architektur im Stil der Neo-Renaissance.

Das Bahnhofsgebäude von 1884, kolorierte Postkarte, 1920er Jahre. Noch deutlich sichtbar: die Betonung des Fürstenzimmers für illustre Gäste – mit Vordach und Loggien. Postkarte: Privatbesitz.

Die Außenfassade der Eingangshalle erinnert mit mächtigen Rundbögen an einen Triumphbogen. Das Portal inszeniert den Bahnhof als Stadttor und Ort des Kommens und Gehens. Darauf verweisen die Inschriften „Salve“ (sei gegrüßt!) und „Valve“ (lebe wohl!). Der rote, sehr widerstandsfähige Sandstein aus Miltenberg am Main wird durch gelbe Ziegel ergänzt, die an den funktionalen Charakter des Bahnhofs als Bau des Industriezeitalters erinnern.

Die Architektur der stadtseitigen Eingangshalle nimmt Stilelemente des Triumphbogens auf – und inszeniert den Hauteingang als Tor zur Stadt.

Im linken Flügel waren früher die prunkvollen Warte- und Speisesäle für die erste und zweite Klasse angeordnet (sogar mit separaten Toilettenzimmern). Dort war auch ein separates „Fürstenzimmer“ für den Empfang besonders vornehmer Gäste eingerichtet. Die Fassade des Südflügels war auch architektonisch sehr viel aufwändiger mit Wappen und Bauzierrat geschmückt. Im rechten Flügel lagen die einfacheren Warte- und Speiseräume für die 3. und 4. Klasse.

Bahnhöfe in ähnlicher Architektur wurden damals auch andernorts, so etwa in Trier und Mannheim, erbaut. Dass das Empfangsgebäude in Bonn ein typischer Bau seiner Zeit war, kann man auch daran erkennen, dass die Firma Faller ihn als Modell eines Großstadtbahnhofs im HO-Maßstab auf dem Markt brachte – sogar die liebevoll gestaltete Bahnsteigüberdachung entspricht dem Bonner Vorbild.

Vier Figuren krönen das Dach des Eingangs: Sie symbolisieren Hermes, den Gott der Reise, die Ingenieurskunst, die Architektur und die Bildhauerkunst. Zwischen den Figuren befinden sich Weltkugeln, die von Eisenbahnschienen umrundet werden.

Das Gebäude blieb – mit kleinen Verlusten von Zierelementen in den 1930er Jahren an der Vorderfassade – über die Zeit relativ gut erhalten. In der frühen Nachkriegszeit gewann der Bahnhof der jungen Bundeshauptstadt gesteigerte Bedeutung, als wichtige Staatsgäste noch mit dem Zug anreisten. Es gab ein gesondertes Regierungsgleis und das Fürstenzimmer wurde für den Empfang von hohen Staatsgästen genutzt.

Seit die Bahnstrecke ab 1855 in Richtung Süden zunächst die Poppelsdorfer Allee und später die wachsende Bebauung der Stadt bis nach Mehlem kompromisslos zerschnitt, gab es darüber Verdruss und Ärger. In den 1930er Jahren wurden immerhin die Bahnunterführungen direkt nördlich und südlich des Bahnhofs realisiert. An den verbliebenen Bahnübergängen warten und schimpfen die Passanten bis heute vor oft und lange geschlossenen Schranken. Diese Tatsache hat in der Stadt zu dem fatalistischen Sprichwort geführt: „Entweder es regnet oder die Schranken sind zu!“

Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurden daher Debatten über eine Höherlegung der Strecke mittels eines mächtigen Viaduktes geführt, die aber nie realisiert wurde. Anfang der 1970er Jahre wollte man eine Tieferlegung der Strecke mit dem Abriss des historischen Bahnhofs verbinden – und ihn durch ein modernes Monstrum des Beton-Brutalismus ersetzten. Auch das scheiterte.

Historische Bahnsteigüberdachung.

Inzwischen zweifelt niemand mehr am Bestand des Bahnhofs in seiner historischen Form. Ein aktuelles Zeichen dafür war die aufwändige Sanierung der Bahnsteig-Überdachung aus der Erbauungszeit mit den gusseisernen Stützen, die 2021 abgeschlossen wurde.

Text und Fotos: Detlef Stender

Adresse: Am Hauptbahnhof 1, 53111 Bonn

Literatur:

„Bahnstrecke Bonn Hauptbahnhof nach Oberkassel mit Schiffstrajekt”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-30069-20120114-2 

Manhold, Jörg: Rheinische Redensarten: Entwedde et räänt ode de Schranke sin zo,
Generalanzeiger Bonn, 8.8.2020. Online:
https://ga.de/region/koeln-und-rheinland/entwedde-et-raeaent-ode-de-schranke-sin-zo_aid-52259449

Schmoeckel, Reinhard, Kemp, Klaus: Hundertfünfzig Jahre Eisenbahn in Bonn. Bonn 1994

Sonntag, Olga: Verliert der Bonner Bahnhof zu seinem 100. Geburtstag sein Gesicht? Ein stadtgeschichtlicher und kunsthistorischer Beitrag zur gegenwärtigen Planungsdiskussion um den Bonner Bahnhofsbereich. Bonner Geschichtsblätter: Jahrbuch des Bonner Heimat- und Geschichtsvereins e.V. Band 34. Bonn 1982, S. 173–224

Stern, Volkhard: Verkehrsknoten Bonn. Freiburg 2015