Grün, Blau, Orange, Braun und Gelb – viel geläufiger als die Namen der unterirdischen Stadtbahnhaltestellen sind den Bonnern deren Farben. Hier kann man auf der Fahrt im täglichen Pendelverkehr futuristisch anmutende Räume der Space Ära erleben – poppig, kultig, denkmalwert!
Der Streckenabschnitt der Stadtbahn zwischen den Haltestellen Universität / Markt und Heussallee / Museumsmeile wurde 1975 in Betrieb genommen; hier verkehren die Linien 16, 18, 63 und 66. Die Teilstrecke ging hervor aus der Straßenbahnstrecke von Bonn nach Bad Godesberg und umfasst die fünf unterirdischen Stationen Universität / Markt, Juridicum, Bundesrechnungshof / Auswärtiges Amt, Museum König und Heussallee / Museumsmeile.
Die bis dahin verkehrenden Oberleitungsbusse und Straßenbahnen wurden seinerzeit als provinziell und das Stadtbild störend empfunden. Entsprechend war die Verlegung des Verkehrs in den Untergrund ein Prestigeprojekt der jungen Bundeshauptstadt, das aufgrund seiner starken Eingriffe in das historische Stadtbild aber auch heftigen Gegenwind erfuhr. Die Herstellung der Untergrundstationen erfolgte nämlich von oben, sodass für das Bauvorhaben zahlreiche gut erhaltene Bauten aus dem 19. Jahrhundert abgerissen wurden.
Die grundsätzlichen Planungen zur Modernisierung der stadtweiten Verkehrsinfrastruktur waren 1972 im „Gesamtkonzept Stadtverkehr Bundeshauptstadt Bonn“ festgeschrieben worden. Für die Gestaltung dieser ersten fünf Untergrundstationen wurde ein Wettbewerb ausgerufen, aus dem neben dem namhaften Münchner Architekten Alexander Freiherr von Branca (1919-2011) das Kölner Architekturbüro Busmann + Haberer, heute BHBVT, sowie die Wiener Architektengruppe AGU als Sieger hervorgingen. Die AGU – abgekürzt für „Architektengruppe U-Bahn“ – war 1970 von den Preisträgern des Wettbewerbs für den Bau der Wiener U-Bahn-Linie U1 (Bauzeit 1970-82) gegründet worden; sie baut bis heute Untergrundstationen weltweit.
Für die Planung setzten sich die Gewinner in unterschiedlichen Teams unter jeweils wechselnder Federführung zusammen. Die Entwurfsgrundlage aber lieferten die Wiener: Das von der AGU entwickelte Over-All System Design in Form eines Modulsystems aus Paneelen hatte sich bereits bei der U1 bewährt. Es wird bis heute weiterentwickelt und verbaut. Grundgedanke des Systems ist das Prinzip der Ganzheitlichkeit der Gestaltung, das der berühmte Wiener Architekt Otto Wagner (1841-1918) Ende des 19. Jahrhunderts für die Stationen der Wiener Stadtbahnlinien entworfen hatte. Hierbei folgen alle Stationen einer Linie einem einheitlichen Gestaltungsprinzip und bilden somit übergreifend ein einziges fortgesetztes Verkehrsbauwerk.
Die AGU übertrug dieses Prinzip der Ganzheitlichkeit auf die Untergrundhaltestellen. Dem hieraus abgeleiteten modernen Modulsystem liegt ein einheitliches Konzept für Struktur und Gestaltung zugrunde. Konstruktiv handelt es sich um ein integriertes System, das heißt, sämtliche Bauteile werden in die Paneelkonstruktion eingesetzt, seien es Rolltreppen, Handläufe, Sitzreihen, Leuchtstoffröhren oder kleinere Einzelelemente wie Abfalleimer, Notrufflächen, Leuchtkästen, Infotafeln etc. Gestalterisch entsteht dadurch ein einheitliches Erscheinungsbild, das dennoch mittels Farben und Materialien individualisiert werden kann.
Die Bonner Stationen mit ihren unterschiedlichen Farben und Fliesenformaten, ausgeführt in Metall oder Keramik, zeigen, wie ansprechend, gefällig, bunt und vor allem zeitlos das sein kann und wie viel Ästhetik, Leichtigkeit und Atmosphäre dem eigentlich ungeliebten fensterlosen Untergrund innewohnen kann. Zudem erleichtern die einheitliche Raumgestaltung und das immer gleiche Leitsystem den Nutzern die Orientierung und schaffen Vertrautheit und Identität im Raum. Die bewusste Schaffung heller und dunkler, gestalteter und roh belassener Bereiche unterstützt hierbei die menschliche Intuition, sich im Hellen, Gestalteten – auf dem Bahnsteig – aufzuhalten und das Dunkle, roh Belassene – das Gleisbett und die Tunnels – zu meiden. Die geraden Kanten im Aufenthaltsbereich im Gegensatz zu den gerundeten Deckenabschlüssen in Abgrenzung zu den Gefahrenbereichen übersetzen dieses Spürbare ins Sichtbare.
Das System ist äußerst gebrauchstauglich und langlebig, da die verwendeten Materialien sehr strapazierfähig und die Paneele einzeln austauschbar sind, Schäden somit einfach und kostengünstig repariert werden können. Dies erleichtert die Instandhaltung gerade für die stark genutzten Verkehrsbauten enorm. Der gute Zustand der inzwischen fast ein halbes Jahrhundert alten Bonner Stationen spricht für sich.
Hinzu kommt die ästhetische Wertigkeit: Das von graphischen und geometrischen Elementen geprägte, zeittypisch futuristisch anmutende Erscheinungsbild erreicht seine Wirkung durch Schnörkellosigkeit, klare Linienführung und das Wechselspiel von Geraden, Schrägen, Kanten und Rundungen. Oberirdisch sticht die Station Universität / Markt hervor: Ihre kuppelartig gestaltete Eingangshalle (Zugang „Am Hofgarten“) lässt durch die offenen Seitenwände und die netzartig abgehängte Beleuchtung Außen- und Innenraum miteinander verschmelzen.
Auf der gegenüberliegenden Seite (Zugang „Stockenstraße“) ist die Decke parallel zur Rolltreppe verlaufend abgeschrägt, die Beleuchtung in größeren Abständen quer eingesetzt. So wird der Fahrgast auch mittels Lichtführung stufenweise von „über Tage“ nach „unter Tage“ geleitet.
Bonn ging beim Bau dieser frühen Stationen mit ihrer außerordentlichen Entwurfsqualität und ihrem hohem Wiedererkennungswert einen ganz anderen Weg als Köln, dessen Stationen der Rheinuferbahn uneinheitlich und recht beliebig gestaltet sind. Nicht nur erfahren diese deutlich mehr Abnutzung und Vandalismus, sie verfügen auch im Gegensatz zur Bonner Stammstrecke über keinerlei gestalterisches Alleinstellungsmerkmal.
Leider führten bei den Bonner Untergrundstationen im Laufe der Zeit diverse bauliche Eingriffe dazu, dass sich das Erscheinungsbild einzelner Stationen inzwischen stark verändert hat. Hier sind die nach neuen Sicherheitsvorschriften notwendigen Einhausungen von Rolltreppen und Übergängen und die Umbauten zur Herstellung der Barrierefreiheit ebenso zu nennen wie die Erneuerung von einzelnen Komponenten wie Sitzen, Mülleimern, Feuer- und Notrufmeldern, Beschilderungen etc. Auch das Schließen von „Angsträumen“, wie die dunklen Bereiche heute eingestuft werden, und damit die Veränderung des räumlichen Entwurfs verwässern und verfremden das ursprüngliche Konzept zunehmend und gefährden das historische Erscheinungsbild.
Um den authentischen Charakter der Haltestellen zu bewahren, sollten Eingriffe unbedingt angepasst erfolgen. Daher gibt es bereits seit 2015 seitens verschiedener Bürgerinitiativen, der Stadtwerke Bonn sowie des LVR-Amts für Denkmalpflege im Rheinland verstärkt Bestrebungen, die fünf Untergrundstationen der Bonner Stammstrecke unter Denkmalschutz zu stellen. Rechtlich lässt sich der Denkmalwert allein durch den künstlerischen und den technikgeschichtlichen Wert ohne Weiteres begründen. Hinzu kommt der politische Kontext – die inzwischen abgeschlossene historische Epoche der Stadt Bonn als Regierungssitz. Mit dieser besonderen Geschichte waren unter anderem Großbauprojekte wie die Entwicklung des Regierungsviertels, die Anlage des Rheinauenparks und die Errichtung der Museumsmeile verbunden, dazu der Ausbau der Infrastruktur, zu der auch der Tunnel der Stammstrecke mit den fünf Untergrundstationen gehört.
Die formale Eintragung in die Denkmalliste und damit die schriftlich fixierte Schutzgrundlage steht jedoch immer noch aus. Die Stadtwerke Bonn achten nach eigener Aussage allerdings bereits auf den denkmalgerechten Umgang mit den Stationen.
Deren Eröffnungsjahr 1975 war übrigens das Europäische Denkmalschutzjahr, dessen Motto „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ nun auch die bunte Bonner U-Bahn eingeholt hat.
Text und Fotos: Barbara Wunsch
Adressen: Universität/ Markt: Am Hofgarten sowie Stockenstraße; Juridicum: Adenauerallee 24; Bundesrechnungshof/ Auswärtiges Amt: Adenauerallee, Ecke Arndtstraße; Museum König: Adenauerallee 160; Heussallee/ Museumsmeile: Willy-Brandt-Allee, Ecke Heussallee bzw. Genscherallee.
In Weiterfahrt in Richtung Bad Honnef sind noch die Stationen „Robert-Schuman-Platz“ und „Ramersdorf“ zu erwähnen. Beide wurden 1981 eröffnet und sind – wie auch die 1979 eröffnete Untergrundstation „Bonn Hauptbahnhof“ – im selben Modulsystem gebaut.
Literatur:
Holzbauer, Wilhelm / Marschalek, Heinz / Ladstätter, Georg und Gantar, Bert: Die Arbeiten der Architektengruppe U-Bahn 1970-1993. Wien 1993
„U-Bahn-Station Universität/Markt in Bonn”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-53814-20120906-4 (13.02.2022)
https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtbahn_Bonn (11.02.2022)
https://www.moderne-regional.de/fachbeitrag-bonn-stadtbahn/ (2015) und https://www.moderne-regional.de/rettung-fuer-die-bahn-des-bundes/ (2019) (12.02.2022)
https://www.moderne-regional.de/wp-content/uploads/Bonn_OffenerBrief_InitiativeKerberos_20190205.pdf (offener Brief 2019) (12.02.2022)
https://ga.de/bonn/stadt-bonn/ufos-im-untergrund_aid-42256387 aus 2015 und https://ga.de/bonn/stadt-bonn/u-bahn-haltestellen-sollen-denkmalschutz-bekommen_aid-44013763 aus 2019 (12.02.2022)