Die Kaffeerösterei Zuntz sel. Wwe

In der Bonner Südstadt in der Königstraße 78 findet sich das letzte bauliche Zeugnis der ehemaligen Kaffeerösterei Zuntz. Die architektonisch auffällige Fassade erzählt vom ehemaligen Industriestandort Bonn-Poppelsdorf, von der Blütezeit eines Bonner Unternehmens, das fast anderthalb Jahrhunderte lang hier ansässig war, und vom jüdischen Leben in Bonn.

Die Firma A. Zuntz sel. Wwe wurde im Jahr 1837 von einer Frau gegründet: Rachel Zuntz (1787-1874) war die Witwe des Kaufmanns Ascher Zuntz, genannt Amschel, der kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes 1814 verstarb. Ihr Vater betrieb einen Kaffee- und Kolonialwarenladen in der Bonner Judengasse. Nach seinem Tod im Jahr 1837 stieg Rachel Zuntz in das Geschäft ein und gründete, gemeinsam mit ihrem Sohn, unter eigenem Namen ein neues Unternehmen, die nach ihr benannte Kaffeerösterei. Ausgeschrieben liest sich der Firmenname als „Amschel Zuntz selig Witwe“, also Witwe des seligen – verstorbenen – Amschel Zuntz, wandelte sich im Sprachgebrauch aber zu „selige Witwe“.

Die neue Kaffeerösterei wurde weit über die Grenzen Bonns hinaus erfolgreich. Im Verlauf der Unternehmensgeschichte wurden weitere Niederlassungen unter anderem in Berlin, Hamburg und Antwerpen eröffnet. Ende des 19. Jahrhunderts führte die Firma gleich vierfach den Ehrentitel „Hoflieferant“, sogar den „Seiner Majestät des Kaisers und Königs“. Besonders zum Erfolg beigetragen hatte der sogenannte „kandierte Kaffee“, für dessen Herstellung im Röstverfahren Zucker beigemengt wird, der auf den Bohnen karamellisiert. 1887 meldete die Firma zudem ein Kaffeekonzentrat zum Patent an. Kurz darauf kamen zu den Kaffees Teemischungen hinzu, schließlich auch Pralinen und Feingebäck, ebenfalls aus eigener Herstellung.

Mit dem wachsenden Erfolg wurden auch neue, größere Räumlichkeiten für Produktion und Verwaltung notwendig. Rachel Zuntz‘ Enkel Josef zog daher 1891 mit dem Unternehmen nach Poppelsdorf, wo schon die Firma Soennecken Schreibwaren und die Wessel-Werke Porzellan und Keramik produzierten. Der Entwurf für die Neubauten stammte von dem Bonner Architekten Anton Zengeler (1847-1913).

Die trutzige, burgähnliche straßenseitige Fassade im neugotischen Stil verblendete ab 1901 die schlichten Backsteinbauten der dahinter liegenden Produktionsgebäude. Sie ist typisch für die Gestaltung repräsentativer Giebelfronten von Werksgebäuden aus der Zeit. Ein hoher Schornstein sorgte überdies dafür, dass die Geruchsentwicklung die Anwohner nicht allzu sehr belästigte.

Die Kaffeerösterei Zuntz, Ansichten aus den 1970er Jahren. Quelle: Helene Held. Zur Verfügung gestellt von Gabriele Wasser, Bonn.

Heute sind von dieser Anlage nur noch ein Teil der Fassade sowie zwei historische Räume (integriert in Hausnummer 76) erhalten, die 1984 in die Denkmalliste der Stadt Bonn eingetragen wurden. Es sind klägliche Restbestände des stattlichen Industrieensembles, das nach jahrelangen Diskussionen 1980 doch abgerissen wurde, um einer Neubebauung des Geländes mit Wohnhäusern zu weichen.

Die Giebelwand ziert noch heute das Logo des Unternehmens. Richard Zuntz hatte es 1909 bei Julius Gipkens in Auftrag gegeben, dem berühmten Berliner Graphiker, dessen bekanntestes Werk, der Sarotti-Mohr, wohl jedem geläufig sein dürfte. 1925 ließ August Zuntz Gipkens das Logo im Stil der Zeit modernisieren.

Die kaffeetrinkende Frau mit dem Schutenhut ist dem Erscheinungsbild der Firmengründerin nachempfunden, die sicherlich den Großteil ihrer Lebenszeit eine solche Haube, auch Kapotte genannt, trug, war diese doch die typische Kopfbedeckung für die Frau während der gesamten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auf Werbeveranstaltungen wurde die Markenfigur durch eine kostümierte Schauspielerin dargestellt.

Poppelsdorf wurde auch zum Wohnsitz der Familie Zuntz: 1895 zog der Enkel Richard Zuntz mit seiner Frau Maria in die Argelanderstraße, wo die Familie neben der Fabrikantenvilla (Hausnummer 2a) noch weitere Häuser errichten ließ, die sie an Firmenmitarbeiter vermietete.

Die Belegschaft des erfolgreichen Unternehmens wuchs stetig. Zu Anfang der 1930er Jahre waren ca. 800 Mitarbeiter bei Zuntz angestellt. Es gab 11 Filialniederlassungen und knapp 2.000 Verkaufsläden mit 17 Kaffeestuben, in denen der Kaffee im gemütlichen Ambiente und mit aktuellem Presseangebot gereicht wurde. Was heute selbstverständlich ist, war damals ein völlig neues Konzept. Es hatte sich aus dem Verköstigungsstand der Firma Zuntz auf der Berliner Gewerbeausstellung 1896 entwickelt, die sich in Dimension und Vielfalt mit den Weltausstellungen durchaus messen konnte und zahlreiche Aussteller und Besucher angelockt hatte. Der Stand war hervorragend angenommen worden, und auch die daraus abgeleitete Geschäftsidee der Kaffeestuben hatte enormen Erfolg. Sie trug wesentlich zum Bekanntheitsgrad der Marke bei und führte zur Eröffnung zahlreicher weiterer Filialen und Kaffeestuben deutschlandweit. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es allein in Berlin 68 Filialen, der Firmenhauptsitz war bereits 1932 dorthin verlegt worden. Die Produktionsstätte in Bonn blieb aber weiterhin bestehen.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde die jüdische Unternehmerfamilie aus dem Geschäft gedrängt. Die Nationalsozialisten schmückten sich jedoch mit dem erfolgreichen deutschen Unternehmen und feierten das 100jährige Bestehen 1937 in großem Rahmen. Von der Unternehmerfamilie durfte an den Jubiläumsfeierlichkeiten für die eigene Firma niemand teilnehmen. August Zuntz, Geschäftsführer der Berliner Niederlassung und einer von bis dahin zwei Gesellschaftern der Firma, war durch einen dritten, von den Nationalsozialisten eingesetzten Gesellschafter zum stillen Teilhaber ohne Rechte degradiert worden. Er floh 1938 nach England, von wo aus er nach dem Krieg die Geschäfte wieder aufnahm.

Vier Jahre später nahm sich die inzwischen verwitwete Maria Zuntz nach Zustellung des Deportationsbefehls am 30. Januar 1942 das Leben. An sie erinnert der „Stolperstein“ vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Argelanderstraße 2a.

Nach dem 2. Weltkrieg konnte das durch die Nationalsozialisten völlig heruntergewirtschaftete Unternehmen nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen. Die Firma Dallmayr & Darboven übernahm 1951 zuerst die Berliner, 1976 schließlich auch die Bonner Niederlassung. Die Marke A. Zuntz sel. Wwe gehört seitdem Dallmayr und besteht bis heute.

Text und Fotos: Barbara Wunsch

Adresse: Königstraße 78, 53115 Bonn; Fabrikantenvilla: Argelanderstr. 2a, 53115 Bonn

Literatur:

Wasser, Gabriele: Die „Selige Witwe“ – Geschichte einer Kaffeerösterei und der Familien Hess und Zuntz (= Kleine LEHRHAUS-HEFTE, Schriftenreihe des Vereins für Geschichte und Kultur der Juden der Rheinlande e.V. 2/ 09). Bonn 2009

Delhougne, Severine: Familie Zuntz. In: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-zuntz/DE-2086/lido/57c82bf67c60f1.32195538 (15.01.2022)

https://virtuellesbrueckenhofmuseum.de/vmuseum/historie/abfrage_sql.php?serie=Zuntz%20-%20Kaffeer%C3%B6sterei (15.01.2022)

https://dewiki.de/Lexikon/A._Zuntz_sel._Wwe. (15.01.2022)

Denkmalliste der Stadt Bonn, Objektnr. A482