Jutefabrik

Die industrielle Verarbeitung der ursprünglich in Indien beheimateten Jutepflanze begann in Europa in der ersten Hälfte des 19. Jh. in Schottland. Die erste Jutespinnerei auf dem europäischen Festland entstand 1861 in der Nähe von Braunschweig. In Bonn entstanden kurze Zeit später gleich zwei juteverarbeitende Betriebe. Die „Mechanische Jutespinnerei“ am Bonner Talweg wurde 1868 gegründet, im gleichen Jahre wie die Fabrik in Beuel.

Die „Vereinigte Jutespinnerei und Weberei AG“ in Beuel gehörte mit zeitweise über 1000 Beschäftigten zu den größten Industrieunternehmen in Beuel. Gegründet wurde sie 1868 von Alfred Hieronymus. Der Kölner Textilhändler hatte bereits 1860 in Bonn eine Juteweberei gegründet. Das neue Werk in Beuel zeichnete sich dadurch aus, dass hier die angelieferte Jute von der Rohfaser bis zum fertigen Gewebe verarbeitet wurde – ein Novum im damaligen Deutschland.

Die Jutespinnerei um 1920; rechts unten die Siegburger Straße mit der Direktorenvilla.
Foto: unbekannt / gemeinfrei.

Trotz oder gerade wegen der fortschrittlichen Produktionsweise wechselte das Werk schon wenige Jahre nach der Gründung seinen Besitzer und firmierte nunmehr unter dem Namen „Rheinische Jutespinnerei Solf, Davenport & Co“. Wohl infolge der Wirtschaftskrise, die den stürmischen Gründerjahren nach dem deutsch-französischen Krieg seit 1873 folgte, sanken die Produktionszahlen kontinuierlich, sodass das Unternehmen Mitte der 1880er Jahre Konkurs anmelden musste.

1887 kam es zu einer Neugründung unter dem Namen „Westdeutsche Jutespinnerei und Weberei“. Trotz starker Preisschwankungen auf dem Weltmarkt für Jute konnte die Firma die Produktion kontinuierlich steigern. In den Jahren zwischen 1896 und 1899 wurden die Produktionsstätten entlang der Siegburger Straße nahezu um das Doppelte erweitert.

Innenhof der Jutefabrik mit Kesselhaus und Schornstein. Foto: Markus Krause.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Deutschland von dem Bezug von Jute, die hauptsächlich aus Indien stammte, abgeschnitten. Die Beueler und auch die Bonner Jutefabrik mussten daher ihren Betrieb einstellen. Erst nach dem Ende der Inflation konnte das Beueler Werk 1924 als Dependance der „Vereinigten Jutespinnereien und Webereien AG, Hamburg“ wieder seinen Betrieb aufnehmen.

Während des Zweiten Weltkrieges produzierte die Jutespinnerei in einem erheblichen Umfang für die Wehrmacht. Der Betrieb entwickelte sich zum bedeutendsten Profiteur der Zwangsarbeit in Bonn: Die Produktion wurde zunächst von französischen und niederländischen, später vorwiegend von polnischen und sowjetischen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen aufrechterhalten.

Bei einem Luftangriff im Februar 1944 wurde das Werk bis auf die Grundmauern zerstört. In den zunächst provisorisch wiederhergestellten Hallen nahm man jedoch schon wenige Monate nach Kriegsende die Produktion wieder auf. Zwar stieg die Zahl der Arbeitskräfte in den 1950er Jahren nochmals auf etwa 500 an, die Herstellung von Juteerzeugnissen wurde jedoch Mitte der 1950er Jahre eingestellt. Stattdessen produzierte man in den Hallen ab 1954 Kunstleder und Bodenbeläge. Die noch verbliebenen Spinnmaschinen und Webstühle wurden 1961 im Rahmen einer grundlegenden Sanierung und Umstrukturierung des Werkes entfernt. Die Produktion wurde auf die Herstellung von Bodenbelägen umgestellt. Nach der Übernahme des Unternehmens durch die Dynamit Nobel AG im Jahre 1965 bis zur Einstellung des Betriebes 1980 wurden von zeitweise bis zu 200 Beschäftigten hauptsächlich PVC-Produkte gefertigt.

1981 erwarb die Stadt Bonn die Liegenschaft; die Gebäude wurden fortan vom städtischen Schauspiel und der Oper als Werkstätten beziehungsweise Spielorte genutzt.

Überblick über die Gesamtanlage; im Vordergrund das Kesselhaus, das Werkstattgebäude und die ehemaligen Werkshallen. Foto: Wolkenkratzer / CC BY-SA 4.0.

Text und Foto Nr. 4: Franz Josef Talbot, Fotos: Markus Krause (Nr. 1, 3)

Adresse: Siegburger Straße

Literatur:

Heimat- und Geschichtsverein Beuel am Rhein (Hg.): Denkmalpfade im Stadtbezirk Beuel – Die Beueler Jutespinnerei.  Bonn 2004

Bundesstadt Bonn (Hg.): Denkmalpflegeplan Bonn. 2003

Vogt, Helmut: Die Beueler Jutespinnerei und ihre Arbeiter, 1868-1961. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 46.  Bonn