Villa und Mausoleum Carstanjen / Landgut Schaaffhausen

Am südlichen Ende der Bonner Rheinaue liegt unübersehbar ein burgartig anmutendes Gebäude-Ensemble, mit Türmen und Zinnen – das Haus Carstanjen, das allerdings erst um 1900 seine heutige, historisch anmutende Erscheinung erhielt. Kern der Anlage war ein ländliches Anwesen, das der Kölner Bankier Abraham Schaaffhausen Anfang des 19. Jahrhunderts erworben hatte, der eine bedeutende Rolle in der Finanzierung der rheinischen Frühindustrialisierung einnahm. Hier empfing ab 1824 die sogenannte „Rheingräfin“, Schaaffhausens selbstbewußte und unkonventionelle Tochter, Sybille Mertens-Schaffhausen, zahlreiche Gäste. Zum Ensemble gehören auch ein mächtiges Mausoleum und ein moderner Anbau aus den 1960er Jahren.

Keimzelle der heutigen Anlage war das als Fronhof zum Kloster Heisterbach gehörende Landgut Auerhof, das seit dem 12. Jahrhundert nachgewiesen ist. Nach Einziehung der kirchlichen Güter 1802 erwarb 1807 der einflussreiche Kölner Bankier Abraham Schaaffhausen (1765-1824) das 125 Hektar große Anwesen. Er war einer der ersten reichen Kölner Bürger, die sich im Bonner Süden Besitz zulegten, und damit Vorbild für viele, die ihm in den kommenden Jahrzehnten nachfolgen sollten.

Der Auerhof war damals ein schlichtes, zweigeschossiges Landhaus, das Schaaffhausen auch so beließ. Für ihn stellte das Gut wahrscheinlich auch eine Kapitalanlage dar. Er ließ es von einem Pächter bewirtschaften, wohnte aber wohl zeitweise auch dort.

Schaaffhausen wird als „bedeutender Bankier“ und „Kaufmann großen Stils mit weitem Blick und zäher Unternehmungslust“ geschildert. Der A. Schaaffhausen’sche Bankverein gilt als eines der berühmtesten Bankhäuser des 19. Jahrhunderts. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war die Bank führend in der westdeutschen Industriefinanzierung: Sie versorgte zunächst zu Schaaffhausens Zeiten die illustren Textilunternehmer in der Region – wie Scheibler, Brügelmann oder Schoeller –, aber auch Firmen der Zucker- und Papierindustrie sowie die Schwerindustrie mit Krediten. Schaaffhausen selbst war an einer Kölner Porzellan- und Fayence-Fabrik beteiligt und hatte schon 1801 eine Personenschifffahrtsgesellschaft für den Verkehr zwischen Mainz und Köln gegründet. Zudem handelte er im großen Stil mit Immobilien. Der Auerhof war nicht die einzige Länderei, die er nach der Säkularisierung gekauft hatte.

1824 ging das Anwesen am Rhein an seine Tochter Sibylle Mertens-Schaaffhausen über, eine kluge, beherzte und höchst unkonventionelle Frau, die es bis 1842 besaß. Sie interessierte sich für Geschichte, Literatur und Musik und war selbst ein bedeutende Antikensammlerin. Im Garten übte sie mit Gästen sogar Diskuswurf – in Anlehnung an ein antike Praktiken. Der weitläufige Park war eine besondere Leidenschaft der Hausherrin. Sie ließ Bäume und Sträucher pflanzen, Frühbeete und Gewächshäuser schaffen und gärtnerte dort auch selbst. Der großartig gelegene Auerhof war ihr „Herzblatt“ und zugleich Gegenstand der Bewunderung ihrer Gäste. Der Publizist Ernst Moritz Arndt schwärmte: Man „setzte sich in den Park der Frau Mertens (…) und lasse die Herrlichkeit und Schönheit dieser irdischen Welt ruhig auf sich spielen. Ich wüßte dieser Stelle am ganzen Rhein nichts zu vergleichen.“

Das Landgut Auerhof in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Nachkolorierte Fotografie, Fotogrundlage: Steidele, S. 40.

Die Hausherrin lud regelmäßig Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur an den Rhein ein – was ihr den Titel „Rheingräfin“ eintrug. Es wurde vorgelesen, musiziert und diskutiert. Regelmäßige Gäste waren etwa der berühmte Sprachwissenschaftler und Übersetzer August Wilhelm Schlegel oder der Düsseldorfer Akademiedirektor Wilhelm Schadow. Mit Annette von Droste-Hülshoff, Adele von Schopenhauer und der britischen Schriftstellerin Anna Brownell Jameson verbanden Sibylle intensive Frauenfreundschaften. Sie waren oft länger zu Gast im Auerhof.

1881 kaufte der Kölner Bankier Wilhelm Adolf von Carstanjen die Anlage als Sommersitz, nach seinem Tod 1900 erbte sie sein Sohn Robert. 1895 bis 1907 wurde das Gebäude in mehreren Phasen umgebaut und erweitert. Es erhielt dabei seine heutige Gestalt mit mittelalterlichen Stilelementen. Die Villa Carstanjen ist ein hervorragendes Beispiel für die malerisch-pittoreske Architektur des späten 19. Jahrhunderts, die – im Gegensatz zum Klassizismus, der die Villen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts kennzeichnete – einen vielgestaltigen, lebhaften, dramatisch-erhabenen Eindruck auf den Betrachter anstrebte. So erklärt sich auch die Vielzahl der unterschiedlichen Elemente und Architekturzitate, die häufig asymmetrisch angeordnet sind.

Mittelalterlich anmutende Türme prägen die Ansicht zum Rhein.

Wilhelm Adolf von Carstanjen (1825–1900) stammte aus einer Duisburger Familie, die in der Tabakverarbeitung und Zuckerherstellung tätig war. Er selbst war Bankier im Hause Deichmann (siehe Villa Deichmannsaue) und spekulierte erfolgreich in Eisenbahnwerten und Immobilien. Kurz vor dem geschäftlichen Zusammenschluss der Zuckerdynastien Carstanjen, vom Rath und Joest 1855 hatte er Adele vom Rath geheiratet. Er erwarb gleich mit Ankauf des Auerhofes in Plittersdorf weitere Ländereien für das Anwesen.

1881 wurde Carstanjen in den preußischen Adelsstand erhoben. Es wird vermutet, dass er das Landgut, das er wohl kaum bewohnte, ganz gezielt im Hinblick auf den Adelstitel und eine Orientierung am alten Landadel erwarb. Carstanjen führte einen der imposanten Burganlage und dem Adelstitel angemessenen Lebensstil und fuhr zweispännige Kutschen mit aus England stammenden Kutschern. Nur ein Jahr vor dem Ankauf des Auerhofes am Rhein hatte er eine mächtig wirkende Villa an der Godesberger Kurfürstenallee (siehe Villen an der Kurfürstenallee) erbaut. Carstanjen hatte seinen eigentlichen Lebensmittelpunkt in Berlin – trotz seiner beiden großen und kostspieligen Besitzungen in Plittersdorf und Godesberg. Er trug dort auch eine beachtliche Kunstsammlung zusammen.

Sein Sohn Robert konnte bequem von dem Vermögen des Vaters leben. 1912 besaß er etwa elf bis zwölf Millionen Mark und posierte als begeisterter ehemaliger Kavallerieoffizier in Paradeuniform vor seinem Landgut. 1941 musste die Familie das Anwesen verkaufen.

Ansicht von Westen mit Neubauten, die 1967-69 entstanden.

Von 1950 bis 1952 war in der Villa das „Bundesministerium für die Angelegenheiten des Marshall-Plans“ untergebracht. Bis 1996 bot sie Platz für Abteilungen von Bundesministerien. In diese Phase fallen auch die Büro-Anbauten im Westen, die sich trotz allen Stilwiderspruchs gelungen dem historischen Baubestand anfügen. Seit 1996 wird das Anwesen von verschiedenen UN-Organisationen genutzt, womit wohl auch die beeindruckende Zaunanlage zu erklären ist, die das Ensemble störend umgibt.

Das Mausoleum der Familie Carstanjen mit mächtigem Portikus – und Ausblick auf den Rhein.

Wenige Schritte rheinaufwärts präsentiert sich – von der Rheinpromenade aus gut sichtbar – ein Mausoleum, das sich Adolf von Carstanjen 1896 hier als exklusive und reich verzierte Grabstätte im historistischen Stil mit Bezügen zur Neorenaissance und zum Neobarock erbauen ließ. Das Gebäude gilt als größtes privates Mausoleum am Rhein. Die Begräbnisstätte mit ursprünglich 16 Grabkammern war ausschließlich den engeren Mitgliedern der Familie vorbehalten. Auf einer Bodenplatte findet sich die Aufschrift: „Denket mit Liebe an uns – Adolf von Carstanjen – 1897“.

Der mächtige Bau zeugt von einem außerordentlichen Repräsentationsbedürfnis und von dem Bemühen, die Erinnerung an die Bedeutung des Bauherrn und seiner Familie über dessen Tod hinaus zu retten – was ja auch gelungen ist. Adolf und seine Frau wurden hier bald nach der Errichtung bestattet, bis 2005 folgten weitere Mitglieder der Familie. Nachdem das Gebäude zeitweilig vom Verfall bedroht war, entwickelte die katholische Gemeinde in Plittersdorf ein Konzept, das Mausoleum zu einem „Bürgergrab für Jedermann“ zu machen. Dadurch präsentiert sich das Gebäude wieder in einem sehr gepflegten Zustand. Mehrere Hundert Menschen fanden hier inzwischen ihre letzte Ruhestätte – zu Preisen, die den Kosten auf einem normalen Friedhof entsprechen.

Fotos und Text: Detlef Stender

Adresse: Martin-Luther-King-Straße 48.
Die Villa und Mausoleum sind von der Rheinpromenade aus am besten sichtbar.

Literatur:

Denk, Andreas, Flagge, Ingeborg: Architekturführer Bonn. Berlin 1997, S. 114

„Haus Carstanjen in Plittersdorf”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-49306-20120605-8 

Mausoleum Carstanjen: https://de.wikipedia.org/wiki/Mausoleum_von_Carstanjen

Schulte, Sabine: Das Mausoleum in Plittersdorf – Grabstätte der Familie von Carstanjen. In: Godesberger Heimatblätte 33 / 1995, S. 67–81

Soénius, Ulrich S. / Wilhelm, Jürgen (Hg.): Kölner Personenlexikon. Köln 2008

Sonntag, Olga: Villen am Bonner Rheinufer: 1819–1914. Bonn 1998. Bd. 1, S. 5052; Bd. 3, S. 26–41

Steidele; Angela: Sibylle Mertens-Schaaffhausen (1797-1857). Zum 150. Todestag der „Rheingräfin“, Bonn 2007

Teichmann, Gabriele: „Schaaffhausen, Abraham“. In: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 485486; www.deutsche-biographie.de/pnd117089303.html#ndbcontent

Vogt, Helmut: Familie Carstanjen. In: Internetportal Rheinische Geschichte: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-carstanjen-/DE-2086/lido/57c68b3eb93055.16209659