Villen an der Kurfürstenallee

An der heutigen Kurfürstenallee (früher Kurfürstenstraße) liegen eine Reihe von Villen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts rheinischen Bankiers und Industriellen als Sommersitze dienten. Die Villen-Besitzer waren geschäftlich wie familiär eng miteinander vernetzt. Der Reiz der Lage bestand darin, dass es früher von hier aus einen freien Blick auf das Siebengebirge gab. Ab 1855 kam hinzu, dass fußläufig der neue Godesberger Bahnhof einen unkomplizierten Anschluss nach Köln und in das ganze Rheinland bot.

Die Villen schließen an das Ensemble rund um die Redoute an. Diese war bereits 1792 als Festsaal und das benachbarte „Haus an der Redoute“ als Theater für die Badegäste des Godesberger Brunnes gebaut worden. Beide Gebäude kamen ab 1811 in den Besitz des Elberfelder Bankiers Daniel von der Heydt, der damit einer der ersten Bankiers war, die sich in Godesberg einen Zweitwohnsitz sicherten. 1823 ging die Redoute an den Elberfelder Kaufmann Peter Carl Theodor Aders, der dort eine Gemäldegalerie einrichtete und damit begann, auf der Rückseite einen Landschaftspark anzulegen.

Die Redoute: zunächst Ball- und Festsaal, seit Beginn des 19. Jahrhunderts dann Sommerwohnsitz vermögender Bankiers aus dem Wuppertaler und Kölner Raum.

Das repräsentative Gebäude der Redoute wechselte ab den 1830 Jahren noch mehrfach die Besitzer, aber immer waren Bankiers die neuen Eigentümer – so unter anderem ab 1853 die Kölner Familie Deichmann , dann ab 1856 für längere Zeit die Familie Wendelstadt.  Victor Wendelstadt (1819-1884) stammte aus Hannover, kam über Frankfurt 1845 nach Köln, heiratete 1852 eine Tochter des Bankiers Wilhelm Deichmann (siehe Deichmannsaue) und gehörte seit 1848 gemeinsam mit Deichmann und Gustav Mevissen (siehe Villen Am Kurpark) zur Direktion der ersten deutschen Aktienbank, des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins in Köln.

Wendelstadt war ein Virtuose am Klavier und spielte des öfteren Konzerte mit seiner Frau Amalie, die diese Leidenschaft mit ihm teilte. Das musikliebende Ehepaar nutzte den Konzertsaal der Redoute für Konzerte — und es gastierten hier manch illustre Gäste, unter anderem Johannes Brahms und Clara Schumann. Die Familie Wendelstadt ließ ab 1856 auch den rückwärtigen Hang weiter zu einem malerischen Landschaftspark umgestalten. Der Park ging 1920 in städtisches Eigentum über, ist öffentlich zugänglich – und mit seinem alten Baumbestand und der reizvollen Steillage einen Besuch wert.

Haus an der Redoute / Villa von der Heydt.

Auch das benachbarte Haus an der Redoute wechselte mehrfach den Besitzer, blieb aber fest in Händen von Elberfelder Bankiers.  Ab 1861 gelangte es dann wieder in den Besitz der Familie von der Heydt.

Damit war offenbar der Grundimpuls für die Ansiedlung weiterer wohlhabender Industrieller und Bankiers gelegt. An die ebenfalls aus der Bauzeit der Redoute stammenden Logier- oder Unterkunftshäuser für die Badegäste (heute Rathaus) schlossen sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts weitere Bürgervillen mit Besitzern aus nördlichen Gefilden an.

Viel Grün – ein Blick in die Kurfürstenstraße von Süden, um 1910. Im Vordergrund die Villa, die der einflussreiche Bankier Adolph vom Rath in den 1870er Jahren besaß. Quelle: Privatbesitz.
Blick von Norden: die Villen Hoesch und vom Rath (Kurfürstenallee 5 und 6), die in den 1840er Jahren erbaut wurden.

Die Familie vom Rath aus Köln besaß zeitweilig die Häuser Nummer 5, 6, 7 und 9. Die Familie vom Rath hatte Wohlstand und Ansehen in der Kölner Zuckerindustrie gewonnen und verfügte zudem über enge familiäre und geschäftliche Verbindungen zum A. Schaaffhausen’schen Bankverein in Köln und zur Bankiersfamilie Deichmann.  Später gründeten Wilhelm Deichmann und Adolph vom Rath gemeinsam ein Bankhaus. 1870 wurde der agile Adolph vom Rath (1832-1907), der in den 1870er Jahren in der Kurfürstenallee 6 ansässig war, Gründungsmitglied der Deutschen Bank, 1889 sogar deren Verwaltungsratsvorsitzender.

In diesem Haus findet sich das Goethe-Zitat: „Saure Wochen – frohe Feste“, das auf das bürgerliche Arbeitsethos (im Gegensatz zum müßigen Adel) und die Tatsache verweist, dass der Luxus solcher Villen zunächst einmal verdient sein wollte. Hausnummer 5 gelangte später in den Besitz der Industriellenfamilie Hoesch.

Villa vom Rath, Kurfürstenallee 7, dahinter Villa Carstanjen.

Während die bislang genannten Villen in klassizistischer Architektur eher zurückhaltend und bescheiden wirken, fällt Haus Nummer 8 (heute Musikschule) in seinen Dimensionen und im auftrumpfenden Stil der Neorenaissance geltungsbewusster aus. Für diesen Prunkbau musste eine klassizistische Villa aus der Frühzeit weichen. Sein Erbauer war Adolph von Carstanjen. Die Carstanjens kamen wie die vom Raths aus Duisburg und hatten ebenfalls Besitz in der Zuckerindustrie (siehe auch Haus Carstanjen). Der Bauherr der neuen Villa hatte zuvor Adele vom Rath aus der unmittelbaren Nachbarschaft geheiratet.  Zunächst wohnte man im Haus der Schwiegereltern in der Kurfürstenallee. Dann wurde die eigene Villa nur wenige Häuser weiter errichtet. Auch die Villa Nummer 9 war zeitweilig im Besitz der Familie vom Rath.

Villa Carstanjen, Kurfürstenallee 8.

Im Haus Nummer 10a wohnte zeitweilig Hermann von Beckerath, ein Krefelder Bankier und einer der führenden Vertreter des rheinischen Liberalismus. Er war Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1848/49 kurzzeitig preußischer Finanzminister, später Mitglied des preußischen Landtages und ein enger Vertrauter von Gustav von Mevissen, der schräg gegenüber eine Villa am Kurpark besaß. Beckerath lebte nach seinem Rückzug aus der Politik Ende der 1860er Jahre in seiner Villa in Godesberg und betrieb dort philosophische Studien. Später ging das Anwesen in den Besitz von Wilhelm Scheibler über, der aus der Textilfabrikantenfamilie Scheibler stammte.

Villa Beckerath / Scheibler, Kurfürstenallee 10a.

Die frühen Sommervillen an der Kurfürstenallee waren der Nukleus weiterer Villenbauten der Familien rund um Godesberg. Die Familie Deichmann, die kurzzeitig die Redoute besessen hatte, bewohnte Sommersitze in Mehlem (siehe Deichmannsaue), in Rüngsdorf (siehe Villa Otto Deichmann) und in Rolandseck (siehe Villen Rolandseck).  Adolf von Carstanjen, kaufte nur ein Jahr nach der Fertigstellung seiner großen Villa an der Kurfürstenallee den Auerhof in Plittersdorf, der in den folgenden Jahrzehnten massiv ausgebaut wurde. Ein Enkel Karl von der Heydts, der gute Erinnerungen an Ferienbesuche beim Großvater im „Haus an der Redoute“ hatte, baute sich 1890-93 etwas oberhalb eine gewaltige, schlossartige Villa im Neorenaissance-Stil (Elisabethstr. 16). Ein Sohn der Familie Wendelstadt, Hermann Wendelstadt ließ oberhalb Godesbergs, in Schweinheim, auf einem ehemaligen Alaunabbaugelände, eine großzügige Villa errichten, die mit Bezug auf seinen Vater „Viktorshöhe“ genannt wurde. Obwohl die Familie vom Rath bereits einige Häuser an der Kurfürstenallee besaß, erwarben oder bauten weitere Familienmitglieder Anwesen in der näheren Umgebung Bonns, so etwa um 1840 in Rolandseck (siehe Villen Rolandseck) und in den 1870er Jahren drei Villen in Mehlen. Alle dieser späteren Bauten fielen um ein Vielfaches aufwendiger — man könnte auch sagen protziger — aus als die schlichten, lichten und vergleichsweise bescheidenen Sommervillen an der Kurfürstenallee.

Text und Fotos: Detlef Stender

Literatur:

Ammermüller, Martin: Spaziergang durch Alt-Godesberg. Bonn 2012

Arens, Detlev: „Saure Wochen, frohe Feste“ – Die rheinischen Zuckerbarone und ihre Erben, in: Rheinische Heimatpflege 53, 1/2016, S. 43-52

Berghausen, Gregor: Die Familie Wendelstadt und Godesberg, in: Godesberger Heimatblätter 50/2012, S. 146-170

Eynern, Gert von:  Die Unternehmungen der Familie vom Rath, Bonn 1930, online: http://www.ub.uni-koeln.de/cdm/pageflip/collection/dirksen/id/235786/type/compoundobject/show/235287/cpdtype/monograph/pftype/image#page/4/mode/2up

Heidermann, Horst: Die Wuppertaler Villen und Wohnungen – Spurensuche am Rhein. Geschichte im Wuppertal. Bd. 20. 2011, S. 1-53; online:
https://docplayer.org/10518416-Der-wuppertaler-villen-und-wohnungen-spurensuche-am-rhein.html

Soénius, Ulrich S./Wilhelm, Jürgen (Hg.): Kölner Personenlexikon, Köln 2008

Thomann, Björn: Hermann von Beckerath. In: Internetportal Rheinische Geschichte:
http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-von-beckerath-/DE-2086/lido/57c57773a5cad7.43772841

Wittmütz, Volkmar: Familie von der Heydt. In: Internetportal Rheinische Geschichte:
http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/familie-von-der-heydt/DE-2086/lido/57c83010e38392.80121926