Villen „Am Kurpark“

In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Sommerresidenzen von wohlhabenden Unternehmern an der Kurfürstenallee entstanden auch „Am Kurpark“ Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Villen im klassizistischen Stil. Bauherren oder Besitzer waren reiche Industrielle aus dem Rheinland. Sie genossen hier die Nähe zum romantischen Rhein, die mit einem praktischem Bahnanschluss verbunden war. Die Zuckerfabrikanten-Familie Joest residierte hier, ebenso wie Gustav Mevissen, Präsident der Rheinischen Eisenbahngesellschaft und eine der Schlüsselfiguren der westdeutschen Industrialisierung. Godesberg war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rund um den heutigen Kurpark ein gesellschaftlicher Treffpunkt der rheinischen Wirtschaftselite.

Ein Zeitgenosse schilderte 1864 seinen Eindruck der Villenzeile: Vom Mineralbrunnen kommend „wird man auf’s angenehmste überrascht durch eine Reihe der stattlichsten Prachtbauten und Landsitze, in denen sich wohnlicher Luxus, bauliche Pracht und Wechsel der Anlagen und Formen in geschmackvollster Weise paaren. Man staunt, sich plötzlich in eine neue Welt moderner Luxusbauten versetzt zu sehen, wie sie an keinem anderen Orte des Rheines so vereint wiedergefunden werden kann.“

Das erste „Villenviertel“ Godesbergs in der ehemaligen Kaiserstraße, heute „Am Kurpark“. Vorn die nicht mehr erhaltene Villa Stollwerck, dahinter die Villa Rautenstrauch. Postkarte um 1900, Privatbesitz.

Den Anfang machte früher eine prächtige Villa, die zeitweilig der Kölner Industriellenfamilie Stollwerck gehörte. Sie ist leider nicht mehr erhalten. Haus Nummer 2 gehörte der Familie Rautenstrauch aus Köln, die verwandtschaftlich mit der Zuckerindustriellenfamilie Joest verbunden war.

Villa Rautenstrauch, Am Kurpark 2.

Die wohl bedeutendste Persönlichkeit aber wohnte in Haus Nummer 3: Gustav Mevissen (1815-1899) stammte aus einer Krefelder Fabrikanten- und Kaufmannsfamilie und war ein vielseitig interessierter, gebildeter und weit gereister Zeitgenosse. Mevissen zog 1841 Jahre vom Niederrhein nach Köln und gründete dort zunächst eine Garngroßhandlung. Er engagierte sich aber auch im Bank- und Versicherungswesen und war führend an der Gründung etlicher neuer Aktiengesellschaften für die Textilindustrie, den Maschinenbau, für Bergwerksunternehmen sowie Banken und Versicherungen beteiligt. Mevissens besonderes Augenmerk galt zudem einer Schlüsseltechnologie des Industriezeitalters – dem Eisenbahnwesen. Er war an der Gründung der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft beteiligt, von 1844 bis 1870 deren Präsident, sowie von 1850 bis 1865 Mitglied im Aufsichtsrat der Köln-Mindener Eisenbahn. Mevissen wird von den Historikern als Multi- oder Allround-Unternehmer bezeichnet und gilt als einer der erfolgreichsten und innovativsten Unternehmer Deutschlands im 19. Jahrhundert.

Villa Mevissen, Am Kurpark 3.
Typisch für die Villen „Am Kurpark“ und in der Kurfürstenallee, der klassizistische Vorbau, hier die Villa Mevissen.

Er war als guter Redner bekannt und gehörte gemeinsam mit Ludolf Camphausen (siehe Villa Ludolf Camphausen) und seinem ebenfalls aus Krefeld stammenden Freund Hermann von Beckrath (siehe Villen Kurfürstenallee) zu den führenden Köpfen des Rheinischen Liberalismus. Mit Camphausen war er 1842 an der Gründung der „Rheinischen Zeitung“ beteiligt, in der unter anderen auch Karl Marx Artikel schrieb. Mevissen war zeitweilig Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und des preußischen Landtags. Er starb 1899 in seiner Villa in Godesberg.

Wie intensiv die Kontakte im Bereich der Wirtschaft auch die Ansiedlung und Netzwerke in Godesberg beeinflusst haben dürften, zeigt sich daran, dass Mevissen 1848 als Gründungsdirektor des Schaaffhausen’schen Bankvereins in Form einer Aktiengesellschaft aktiv war – und zwar gemeinsam mit den Kölner Bankiers Wilhelm L. Deichmann und Victor Wendelstadt, die beide ebenfalls in Godesberg bzw. Mehlem Wohnsitze besaßen.

Villa Seyd, Am Kurpark 4.

Die heute vom Theater Bonn genutzte und wohl in den 1830er Jahren erbaute Villa Nummer 4 gehörte der Familie Seyd, und zwar anfänglich Karl Seyd, der mit einer „Handlung für englische, französische und schweizer Manufakturwaren“ in Elberfeld zu Vermögen gekommen war. Die Familie war wie fast alle Zuzügler evangelisch und spendete mehrfach erhebliche Summen für die Godesberger Gemeinde. 1917 war das Haus in Besitz der Witwe des Bankiers Paul Kurt Stein, einer geborene Mevissen.

Der bedeutende Zuckerfabrikant Eduard Joest (1821–92) erbaute die Villa Nummer 7. Stilistisch etwas aus der Reihe fällt die Villa mit der Nummer 6, die von einem Godesberger Bürgermeister erbaut worden war und zunächst auch repräsentativen Zwecken diente. Hier wohnten später Wilhelm Joest (1852–1897), Sohn von Eduard Joest und Ehegatte einer Tochter der Familie vom Rath (siehe Villen Kurfürstenallee), sowie Wilhelms Schwester Adele (1850–1903), die in die Familie Rautenstrauch (Nummer 2) einheiratete.

Villa Eduard Joest, Am Kurpark 7.

Die großzügigen Gärten der Villen lagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie wurden später dem heutigen Kur- oder Stadtpark zugeschlagen.

Wie eng die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und familiären Verbindungen der wohlhabenden Neubürger in Godesberg waren, lässt sich auch daran ersehen, dass sich die in Köln ansässigen Zuckerfabriken vom Rath, Carstanjen und Joest 1855 wirtschaftlich zusammenschlossen. Alle drei Familien waren in Godesberg mit mehreren Sommerresidenzen präsent, untereinander durch Heiraten verwandtschaftlich eng verknüpft – und zugleich mit anderen dort ansässigen Familien familiär verbunden.

Ella von Guilleaume, die als geborene Deichmann in der Deichmannsaue ihre Kindheit verbracht hatte, erinnert sich daran, wie eng der gesellschaftliche Zusammenhalt auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen den vermögenden Familien Rautenstrauch, Stein, Mevissen, Joest, Wendelstadt und Deichmann in „der netten altmodischen Kaiserstraße“ und deren Umgebung war. Die etwas exzentrische Madame Jules Joest führte in ihrer dortigen Villa einen vornehmen Salon. Ihre Schwägerin Tina Joest machte ihr in der benachbarten Koblenzer Straße mit einem weiterem „Jour“ Konkurrenz.

Text und Fotos: Detlef Stender

Adresse: Am Kurpark – im Bereich der Hausnummern 2-7

Literatur:

Ammermüller, Martin: Spaziergang durch Alt-Godesberg, Bonn 2012

Arens, Detlev: „Saure Wochen, frohe Feste“ – Die rheinischen Zuckerbarone und ihre Erben, in: Rheinische Heimatpflege 53, 1/2016, S. 43-52

Eyll, Klara van: „Mevissen, Gustav von“ in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 277-281. Online

Guilleaume, Ella von: „Wie herrlich duftet es hier nach Eau de Cologne!“ – eine wohlbehütete Kindheit und Jugend zwischen Köln und Godesberg, in: Bonner Geschichtswerkstatt: Bad Godesberg- ein historisches Lesebuch, Bonn 2008, S. 16-19

Heidermann, Horst: die Wuppertaler Villen und Wohnungen – Spurensuche am Rhein, Geschichte im Wuppertal, Bd. 20, 2011, S. 1– 53. Online

Soénius, Ulrich S./Wilhelm, Jürgen (Hg.): Kölner Personenlexikon, Köln 2008

Weyden, Ernst: Godesberg, das Siebengebirge, und ihre Umgebungen: Für den Fremden und Heimischen geschildert mit naturhistorischen Andeutungen.  Bonn 1864, Online: